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Heinrich Tischner Fehlheimer Straße 63 64625 Bensheim |
Aller Anfang ist schwerSprachecke in den Echo-Zeitungen |
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Besonders am Neujahrsmorgen fällt es uns schwer, gegen die nächtliche Bettschwere anzukommen und aufzustehen. Das Sprichwort vom schweren Anfang meint aber nicht den allmorgendlichen Kampf gegen das Blei in den Knochen, sondern die Schwierigkeiten, ein Werk zu beginnen: Der Neuling weiß noch nichts und beherrscht noch nicht die Handgriffe, muss alles erst lernen und mitunter "teures Lehrgeld bezahlen" für seine Fehler. Wer ein größeres Vorhaben plant, muss nicht nur die Technik im Griff haben, sondern auch Mitarbeiter gewinnen sowie bürokratische und politische Hürden überwinden.
Wenn alles vorbereitet ist, kann er sagen:
"Es gibt viel zu tun. Packen wir es an."
Das war der ursprüngliche Sinn des westgermanischen
anfangen[1].
Im Altenglischen und Altfriesischen ist die Bedeutung 'anfassen' breit
entfaltet. Im Deutschen hat anfangen nie
etwas anderes bezeichnet als 'beginnen, unternehmen'. Das entspricht genau
dem lateinischen in-cipere, eigentlich
'anfassen', aber ebenfalls nur im Sinn von 'beginnen' gebraucht. Da hat also
das Lateinische auf den deutschen Sprachgebrauch eingewirkt. Doch bereits im
Althochdeutschen hatte das einfache fangen
auch die Bedeutung 'beginnen'.[2] Anfangen ist eine deutsche Neuerung. Das altererbte germanische Wort ist beginnen, immer nur mit einer Vorsilbe.[3] Das Grundwort ginnen 'fangen' ist nicht überliefert. Ein ähnliches Waisenkind unter den Vokabeln ist genießen, das hat wenigstens noch Verwandte wie nutzen und Genosse,[4] aber das arme Beginnen ist ganz alleine aufgewachsen und musste sich auch noch gegen die Konkurrenz von anfangen behaupten. Verwandt ist altgriechisch khandánein, lateinisch pre-hendere 'fassen'.[5] Der Sportlerausdruck starten 'losrennen'[6] ist ja auch eine Art anfangen. Er ist die englische Entsprechung von stürzen 'sich um die waagrechte Achse drehen, kippen'[7] - mit dem Unterschied, dass wir beim Stürzen nach unten kippen, beim Starten aber nach oben. Das englische Wort bedeutet eigentlich 'aufspringen'. Ähnlich können wir ja auch sagen "sie stürzte hastig ans Telefon". Der gute Rutsch ist das verkürzte jiddische Rosch-e-schune 'Kopf des Jahres, Jahresanfang'.[8] Behalten Sie festen Boden unter den Füßen und einen klaren Kopf, auf dass Ihnen und uns allen das Neue Jahr prosit 'nütze'. Und verlieren Sie den Mut und die Hoffnung nicht. |
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[4] Das einfache
nießen war bis ins 18. Jahrhundert in Gebrauch
[8] Alfred Klepsch, Westjiddisches
Wörterbuch 2,1182
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Echo Online | Begriffe: Anfang und Ende Sprachecke 30.12.2014 |
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Datum: 06.01.2015 Aktuell: 09.02.2019 |