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Märchen erklärtDer Klapperstorch |
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Das "Märchen vom Klapperstorch" ist eigentlich kein Märchen, sondern ein Mythos, der erklären soll, wo die kleinen Kinder herkommen. Diese Erklärung ist nirgends zu einer eigenen Geschichte ausformuliert, nur der Inhalt, die Kunde davon, wurde von Generation zu Generation weitergegeben. I. Inhalt1950 machte unsere Lehrerin mit uns Erstklässlern einen Ausflug zu einer gefassten Quelle im Feld und erzählter uns, hier würde der Storch die kleinen Kinder holen und den Eltern bringen. Dazu gehörte die Behauptung, der Storch hätte der Mutter ins Bein gebissen, so dass sie wie eine Kranke im Bett liegen musste. Vor der Geburt meiner Schwestern (1944 und 46) legte ich dem Storch eifrig Zucker aufs Fensterbrett. Wenn die Kinder einen Storch sahen, riefen sie "Storch, Storch, guter, bring mit einen Bruder" oder "Storch, Storch, bester, bring mir eine Schwester". II. Alte BelegeDie Behauptung, dass der Storch die Kinder bringt, ist seit dem 17er-Jahrhundert bezeugt und war bis in die 1960er-Jahre gebräuchlich. 1. Kinderreim 1678(Grimm, Deutsches Wörterbuch 11,978)
2. aus einem Hochzeitsgedicht 1723(Grimm Deutsches Wörterbuch 19,373)
3. Andersen (1839)Der fliegende KofferEin junger Kaufmann fliegt mit einem Koffer in die Türkei, besucht dort die Prinzessin und erzählt ihr Märchen, unter anderem "vom Storch, der die herzigen kleinen Kinder bringt". Die Störche
4. Die beiden WandererGrimm 107 (1843) Ein lustiger, gutmütiger, aber leichtsinniger Schneider und ein egoistischer, griesgrämiger Schuster erleben auf ihrer Wanderschaft allerlei Abenteuer. Sie finden Anstellung als Hofschneider und Hofschuster. Der Schuster will dem Schneider schaden und behauptet, sein Kamerad maße sich an, Unmögliches zu leisten. Mit Hilfe von Tieren, die der Schneider verschont hatte, kann er alle Aufgaben lösen. Zuletzt soll er dem König, der bisher nur Töchter hatte, "einen Sohn durch die Lüfte herbei tragen lassen". Auch das gelingt: Der Storch kommt, trägt in seinem Schnabel ein schönes Kind, übergibt es der Königin und teilt unter die Prinzessinnen Tüten mit Zuckererbsen aus. 5. Warum nicht mehr so viele Kinder geboren werden(Ende 1960er-Jahre, mündlich)
Tatsächlich kam die Antibaby-Pille in der Zeit auf, als die Zahl der Störche zurückging. III. Motivgeschichte1. »Kinder aus dem Wasser«Der Brunnen ist in vielen Märchen ein Symbol für das werdende neue Leben, ganz deutlich im "Froschkönig". Das Wasser, aus dem die Kinder bei der Geburt herausgezogen werden, ist das Fruchtwasser. Dieses Symbol kommt schon in der Geschichte vom Mosekind [1] vor, das von der Königstochter aus dem Nil gezogen und adoptiert wird (Ex 2). Schon vom akkadischen König Sargon (2340-2284) wird erzählt, er sei in einem schwimmenden Behälter flussabwärts gefahren, ähnlich die Gründer Roms (angeblich 753), Romulus und Remus. Grimms Märchen "Der Teufel mit den drei goldnen Haaren" (Nr. 29) nimmt dieses Motiv auf: Überall wird erzählt, dass der Held zufällig von einfachen Leuten aus dem Wasser gezogen und adoptiert wird, während seine eigentliche Bestimmung eine ganz andere ist, nämlich König zu werden. 2. »Frosch«In Ägypten hatte die Geburtsgöttin die Gestalt eines Froschs. [2] In "Schneewittchen" kündigt ein Frosch die Schwangerschaft der Königin an. Der "Froschkönig" beschreibt bildhaft Eisprung, Schwangerschaft und Geburt. Der Frosch, der im Schloss wohnen, vom Teller der Prinzessin essen und nach dem Essen von ihr ins Bett gebracht werden will, symbolisiert das Baby. 3. » Storch«a. PenissymbolIm Mhd. war "des mannes
storch"
↗ eine der vielen Umschreibungen für 'Penis'. Von daher erklärt sich
das Bild, dass der Storch der Mutter ins Bein gebissen habe. b. KinderbringerDer Storch zieht die Frösche aus dem Teich und frisst sie. Da er der Mutter angeblich ins Bein gebissen hat, legt sich nahe, dass er auch die Kinder bringt, die er aus der Lebensquelle geholt hat. |
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Sprachecke 02.04.2013 | Jahresthema Märchen |
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Datum: 2006 Aktuell: 23.06.2019 |